Kennst Du das auch? Egal, was ich erlebe, im Rückblick erinnere ich mich vorwiegend an die schönen Dinge. Um mich an den Rest zu erinnern, muss ich schon in meinem Gedächtnis wühlen. Richtig hineinversetzen kann ich mich aber nicht mehr. Mein Gehirn tut mir einfach diesen Gefallen.
Beispiel: Wenn ich heute an meinen Wehrdienst zurückdenke, erinnere ich mich an Kameradschaft, Zugehörigkeit, einigen Spaß und daran, dass ich LKW fahren durfte!
Anstrengung, Schikane, Müdigkeit und Langeweile dominierten damals zwar meine Stimmung, doch im Rückblick spielt das keine Rolle mehr.
So ist es auch mit dem Reisen. Keine Reise ist perfekt und vor allem Backpacking kann ganz schön anstrengend sein. Doch in meinen Erinnerungen verschwimmt das alles. Und wer Reiseblogs liest, kann ohnehin den Eindruck gewinnen, jedes Reiseziel sei das uneingeschränkte Paradies.
Doch dem ist nicht so und der Reiseschriftsteller Paul Theroux hat das einmal auf den Punkt gebracht:
„Travel is glamorous only in retrospect“
Das kann ich bestätigen. Lasst mich zur Veranschaulichung ein paar kurze Geschichten erzählen. Jede aus zwei Perspektiven:
Koh Tao, Thailand
Koh Tao ist ein kleines Paradies im Süden Thailands. Tagsüber lässt es sich rund um die Insel gut tauchen, abends kann man den Tag in einer der zahlreichen Bars und Restaurants direkt am Wasser ausklingen lassen. Ein paar schöne Sonnenuntergänge habe ich dort erlebt. Auf Koh Tao lässt es sich also für einige Zeit aushalten.
Auf Koh Tao habe ich zwei Tage nur in meinem Zimmer verbracht, und zwar kotzend über dem Klo. Es hatte mich richtig übel erwischt. Ich fühlte mich so schwach, dass ich kaum mal ein paar Meter laufen wollte. Immerhin gab es zwei englischsprachige Sender im Fernsehen. So lag ich verkrampft und bewegungslos in meinem Bett, sah schlechte Filme und hoffte, dass es bald vorbei gehen möge.
Vang Vieng, Laos
Vang Vieng ist für mich der schönste Ort in Laos, jetzt da die Party-Backpacker vertrieben sind. Ich schlief in einem schönen und preiswerten Bungalow mit Blick auf einen grünen Garten. Im Hintergrund lagen Reisfelder und Karstberge. Im Umland gibt es unzählige Höhlen, von denen ich nur einen Bruchteil erkunden konnte. Und wenn ich nicht durch die Gegend spazierte, drehte ich mit einem kleinen Motoroller meine Runden.
Vang Vieng war heiß. Es kam mir viel drückender vor, als zuvor in Luang Prabang oder Nordthailand. Ich war ständig durchgeschwitzt. Durch den Staub der unbefestigten Straßen und das Höhlengekrauche waren mein Körper und meine Kleidung verdreckt und eben auch durchgeweicht. Ich war immer froh, sie mir nach einem Ausflug vom Leib reißen zu können.
Im Übrigen ist der Inhaber der Bungalows ein anstrengender Ire, der jeden seiner Gäste mit 9/11-Verschwörungstheorien nervt. Immerhin weiß er selbst, dass die Weiterempfehlungsquote seiner schönen Unterkünfte wegen ihm so gering ist.
An der deutschen Ostsee
Im Juni fuhr ich mit meiner Familie an die Ostsee. Ein kurzer Ausflug im Frühsommer. Das Wetter war ausgesprochen gut. Nicht zu heiß, aber sonnig. Wir ließen es uns gut gehen und erkundeten einige Strandbäder der Gegend. Auch die Prora-Ruinen fand ich sehr spannend.
Juni ist für mich Heuschnupfenzeit und während ich bis dahin gut durch den Monat gekommen war, ging es an der Ostsee richtig los. Die Spaziergänge waren der Horror. Ich konnte kaum aus den Augen schauen und verrotzte ein Taschentuch nach dem anderen. Mein Medikament schien vollkommen wirkungslos zu sein. Den nächsten Juni verbringe ich in einer anderen Klimazone!
Dubai, Vereinigte Arabische Emirate
In Dubai wurden die großen Geschütze aufgefahren. Auf einer Bloggerreise in der Luxusstadt gibt’s eben genau das: Purer Luxus. Tolle Suiten in 5-Sterne-Hotels, das beste Essen, eine Yachttour durch die Marina, ein Ausflug in die Wüste zum traumhaften Al Maha Desert Resort.
Sagte ich, dass Vang Vieng heiß war? Vang Vieng war eine klimatisierte Oase im Vergleich zu Dubai! Es war so heiß, dass wir beinahe zur jeweils nächsten Klimaanlage gerannt wären. Den Blick auf das „7-Sterne“-Hotel Burj al Arab konnte ich bei 45 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit nicht genießen. Meine Kamera ist sofort beschlagen und konnte keine klaren Fotos schießen. Ich wollte nur zurück in den Bus.
Auch die Blogger waren nicht so recht nach meinem Geschmack, wir wurden nicht warm und so war die Reise ziemlich anstrengend.
Réunion im Indischen Ozean
Die Pressereise nach Réunion und Mauritius gehört zu meinen liebsten Reisen und wird mir immer positiv im Gedächtnis bleiben. Ein angenehmes Klima, Vulkane, ein Helikopterflug, schöne Strände, 5-Sterne-Hotels und auch das Essen war vom Feinsten. Die Gruppe aus Journalisten war wirklich angenehm.
Bei der Anreise dachte ich, dass meine Reise schon in Berlin beendet wäre. Durch das gesponserte Staff-Ticket wollte Air France mich nicht nach Mauritius durchchecken, sondern nur bis Paris. Der Flug nach Paris hatte aber ordentlich Verspätung, so dass ich mir ausrechnen konnte, in Paris zu stranden. Durch den telefonischen Einsatz des Fremdenverkehrsamts und Air Mauritius hat es letztendlich doch noch geklappt. Ich kam pünktlich zum Boarding in Paris an.
Doch dann zog ein Unwetter auf. Wir saßen für vier Stunden im Flieger fest, ohne zu starten! Als der Flieger später abhob, lagen immer noch 10 Stunden Flug vor uns.
Das sind nur fünf kurze Geschichten, die jeweils zwei Seiten haben. Mir fallen noch einige mehr ein. Von 14-stündigen Flügen, 22-stündigen Busfahrten, engen Sitzreihen, quälend langen Wartezeiten, Bungalows, deren Einsturz ich befürchtete, Ratten in Bangkok, die kaum vermeidbare Abzocke – und noch mehr.
Reisen selbst ist weniger glamourös, dafür aber anstrengender als in unserer Phantasie oder in den eigenen Erinnerungen. Umso besser, dass wir das hinterher alles vergessen. Manches Mal denke ich mir im Anschluss an eine Reise, dass ich noch mehr hätte machen und sehen sollen. Auf dem heimischen Sofa liegend kann ich mir gar nicht mehr so recht vorstellen, dass ich unterwegs zu müde dafür gewesen sein könnte und nehme mir fürs nächste Mal wieder viel vor.
Hi Patrick,
wie immer toll geschrieben und vollkommen richtig. Bisher war ich immer nur 3 bis maximal 4 Wochen im Urlaub und im Nachhinein waren alle Urlaube super. Versuche ich mich aber etwas genauer an Details zu erinnern, dann kommen genau solche Dinge auf wie : verspätete oder falsche Flüge / Züge, gefühltes Chaos und absolute Überforderung bei der Ankunft, Planlosigkeit vor Ort, usw. … Jetzt wo ich mehrere Monate am Stück unterwegs bin, habe ich das nun regelmäßig und kann dem nur zustimmen: Reisen kann auch verdammt anstrengend sein … ABER es sind dann die vielen positiven Erlebnisse, Momente, Eindrücke, Menschen usw. die das (zumindest) bisher alles wieder in das richtige Licht rücken und die negativen Erlebnisse schnell vergessen lassen. Meist kann man über die zunächst schlechten Erfahrungen auch hinterher am meisten lachen und kann lange davon erzählen und berichten ;)
VG
Tino
Oh ja, da hast du vollkommen Recht, wenn ich zum Beispiel an Wanaka in Neuseeland denke, denke ich daran wie Freunde und ich zusammen Zimtbrot gebacken haben und wir bis nachts im Hostel gewartet haben, dass das Brot endlich fertig ist und nicht daran, dass ich den ganzen Nachmittag im Bett lag, weil es mir nicht gut ging.
Oder die ganzen endloslangen Busfahrten und Flüge, Verspätungen, über die man sich ärgern musste und die man am Ende der Reise irgendwie ganz und gar vergessen hat…Toller Beitrag!
Eine schöne Idee für einen Artikel ist das, Patrick.
Gerade wir reisenden Eltern würden ohne dieses Phänomen wohl nur die erste Reise unternehmen und die Kids fortan nur noch in den Ferien bei Oma parken :-)
Die Schönfärberei vergangener Erfahrungen ist uns besonders bei unserer Vietnam-Reise aufgefallen: Wir alle waren fast täglich genervt und sauer wegen dreister Abzock-Versuche, essensverweigernden Kindern etc. und haben viel geschimpft, auch noch kurz nach unserer Rückkehr (man lese nur mein Vietnam-Fazit im Blog…). Aber nach einem Jahr schauen wir uns die Fotos an und wollen irgendwie doch wieder hin!
Nun würde mich aber auch deine Meinung interessieren, WARUM unser Gehirn das so angenehm für uns macht. Vielleicht ist das sogar schon wissenschaftlich untersucht worden?
Tja, beim Reisen mit Kindern kann ich mir das besonders gut vorstellen. Vermutlich würde nie wieder jemand mit Kindern verreisen, wenn die Erinnerung nicht verblasst.
Soweit bin ich leider nicht informiert, aber ich denke schon, dass es dazu bestimmt Studien gibt. Unser Gehirn trickst uns ja in vielen Lebenssituationen aus, oft zu unserem Gunsten :-)
Hi Jenny,
das sind zwei super Beispiele (1.) Vietnam und (2.) Reisen mit Kindern. Beim Reisen mit Kindern habe ich zwar keine Erfahrung, aber kann mir lebhaft vorstellen, dass da nicht nur schöne und entspannte Momente dabei sind. Und Vietnam, tja da war ich eigentlich vor weniger als 5 Monaten dort und habe die negativen Momente schon erfolgreich verdrängt – wenn ich mih richtig erinnere ging das „Schönspülerprogramm“ der Erinnerungen sogar sehr schnell. Aber wie Patrick schon schreibt – das trifft nicht nir auf das Reisen sondern alle Lebensbereiche zu …
VG und weiterhin frohes Reisen mit Eurem Nachwuchs
Tino
Schöne Beispiel,alles richtig, nur den Grund weiss ich jetzt erst noch nicht
Ooh, von Ratten und monströsen Kakerlaken in Bangkok kann ich ein Lied von singen!
Gelungener Beitrag Patrick! Und Du hast vollkommen Recht- im Rückblick sieht man alles meist durch die rosarote Brille und man möchte natürlich auch vor Freunden und Kollegen nicht zugeben, dass es ab und an doch nicht immer die Traumreise war ;)
Ich denke aber gerade durch solche anstrengenden Erfahrungen schafft man es gelassener und stressresistenter auch im Alltag zu werden. Denn wenn man unter solchen Extrembedingungen, die wirklich teilweise existentiell (Hitze, Anstrengung, Hunger, Schmerzen) am Nervenkostüm zehren, die Reise und das Leben meistert, wie unwichtig wirkt dann das Ärgern über die abermals vom Kollegen geklaute Tupperdose ;)
Super Artikel und wenn ich im Nachhinein über meine Reisen nachdenke hast du absolut recht. Aber eigentlich ist es gut so, dass man sich nur das positive im Kopf behält. Mein Beispiel wäre Istanbul. Super schöne und aufregede Metropole. Aber als Tourist ohne türkisch sprechende Mitreisende wird man sowas von offensichtlich abgezockt, dass ich damals sehr genervt war. Auch von den Typen die mir auf dem Basar ständig was andrehen wollten. Ich würde trotzdem jeder Zeit nochmal nach Istanbul reisen.