Searching for Sugar Man ist mit einem Oscar als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet worden. Der Film handelt von der Suche nach dem erfolglosen Musiker Rodriguez. In Wellington habe ich erst seine Geschichte kennengelernt und ihn dann gefunden.
Vor einiger Zeit habe ich von dem Film Searching for Sugar Man gelesen. Diese Dokumentation erzählt die Geschichte zweier Fans, die herausfinden wollten, wie der Musiker Rodriguez ums Leben gekommen ist. Nicht wegen der Story, aber wegen der guten Kritiken habe ich mir vorgenommen, den Film anzuschauen, wenn sich die Gelegenheit ergeben sollte.
Einige Wochen oder auch Monate später hat sich die Gelegenheit in Wellington ergeben. Der Film spielte in einem alternativen Kino in einem kleinen, aber gemütlichen Saal. Mit nur zwei weiteren Zuschauern habe ich mich auf einen wundervollen Film eingelassen, der mich weit länger als 85 Minuten begleitet hat.
Die Geschichte
Im Jahr 1970 entdecken zwei Musikproduzenten in einer heruntergekommenen Bar in Detroit den unbekannten Musiker Rodriguez. Gemeinsam bringen sie seine erste Platte „Cold Fact“ heraus.
Alle Beteiligten sind überzeugt, ein Erfolgsalbum produziert zu haben und fühlen sich an Bob Dylan erinnert. Jeder der im Film Befragten erinnert sich an Rodriguez als einen der besten Singer/Songwriter dieser Zeit. Die Texte sind politisch und die Songs gehen ins Ohr.
Doch die Platte floppt, und zwar richtig. Ein Jahr später versuchen sie es erneut mit dem zweiten Album „Coming from Reality“. Doch auch diese Platte liegt wie Blei in den Regalen. Der damalige Plattenboss erinnert sich im Film, sechs Exemplare verkauft zu haben. Ein paar Wochen später kündigt die Plattenfirma den Vertrag und Rodriguez hängt seine Karriere an den Nagel. Es sollte bei nur zwei Alben bleiben.
Währenddessen gelangen seine Platten nach Südafrika. Vermutlich von Reisenden aus den USA eingeführt und später vervielfältigt. Auf dem Höhepunkt der Apartheid fühlen sich die Südafrikaner von Rodriguez‘ Texten angesprochen, beide Platten werden zunehmend populär und nun auch offiziell verkauft (wenn auch einige Songs nicht öffentlich gespielt werden dürfen).
Rodriguez wird in Südafrika zu einem Superstar. Größer als Elvis oder die Rolling Stones. Jedes Kind kann seine Songs mitsingen.
Davon weiß Rodriguez jedoch nichts. Das Geld wird von seiner Plattenfirma einbehalten. Südafrika ist in den 70er Jahren ein abgeschottetes Land, aus dem wenig nach außen dringt. Nur so lässt sich erklären, wie jemand ein Superstar sein kann, ohne davon zu wissen.
Fans in Südafrika fragen sich jedoch: Wer ist Rodriguez eigentlich? Über ihn ist nichts bekannt. Er veröffentlicht keine neuen Alben und so verbreiten sich Gerüchte über Rodriguez‘ Tod: Er soll sich auf der Bühne selbst angezündet haben, andere meinen er habe sich auf der Bühne erschossen oder sei den Drogen erlegen.
Zwei südafrikanische Fans geben keine Ruhe. In den 90er Jahren wollen sie herausfinden, wie Rodriguez wirklich gestorben ist. Nach einer langen Suche stellen sie überrascht fest, dass Rodriguez alles andere als tot ist. Er lebt seit Jahrzehnten ein einfaches Arbeiterleben in Detroit. Sie überzeugen ihn davon, nach Südafrika zu kommen und organisieren mit ihm 1998 sechs Konzerte, die alle ausverkauft sind.
Der Film erzählt die rührende Geschichte der Suche nach dem „Sugar Man“ und endet mit diesen Konzerten im Jahr 1998. Die Interviews wurden jedoch erst in den letzten Jahren geführt.
Die Musik
Der Soundtrack des Films besteht nur aus Rodriguez Songs und diese Musik verleiht dem Film erst das richtige Gefühl. Die Produzenten verstehen es, in den richtigen Momenten die passenden Songs einzuspielen. Und tatsächlich fragt man sich: Wie konnte diese Musik in den 70ern nicht einschlagen?
Es gibt weiterhin nur zwei Alben von Rodriguez. Mittlerweile wurden sie neu aufgelegt und sind auch über iTunes erhältlich. Der Soundtrack zum Film ist eine Art „Best of“.
Die Songs erinnern an Bob Dylan und einige gehen wirklich ins Ohr. Auch die Lyrics sind stark und manch ein Song lebt vor allem durch seinen Text.
Meine Lieblingssongs sind Sugar Man, I Wonder, I think of you und You’d like to admit it.
Die Geschichte geht weiter
Ich schaue mir diesen Film an, der schon viele Monate auf dem Markt ist, in der Zwischenzeit einen Oscar gewann und in einem kleinen Kino in Wellington für drei Zuschauer gespielt wird.
Nach der Vorstellung sind wir drei uns einig: Sehr schöner, sehr bewegender Film. Dann fragt mich einer der beiden, ob ich am Samstag beim Konzert sein werde.
> Ich: „Huh, was für ein Konzert?“
>> „Rodriguez spielt in Wellington!“
> Ich: „Huh?“
>> „Ich meine das ernst.“
> Ich: „Ok, ich prüfe das mal.“
Ich war mir nicht sicher, ob er mich veralbert. Warum sollte dieser Musiker, von dem ich nie gehört hatte, der sein Leben lang außerhalb Südafrikas erfolglos war und dessen bewegende Geschichte im Film nur bis 1998 erzählt wurde ausgerechnet hier und jetzt ein Konzert spielen?*
Mit dem Film hat sich für Rodriguez offenbar einiges geändert. Nun gibt es Konzerte in Großbritannien, den USA, Australien und auch zwei in Neuseeland. Eines davon fand am Samstag in Wellington statt.
Ich schlief eine Nacht darüber, um nicht in den Emotionen des Films $100 zum Fenster rauszuwerfen, doch am nächsten Morgen habe ich mir ein Konzertticket gekauft und mein Aufenthalt in Wellington hat sich dadurch weiter verlängert.
Es hatte sich alles so gut gefügt, dass ich nicht nein sagen konnte: Der Film lief seit mehr als einem halben Jahr, es war viele Wochen her, dass ich über ihn gelesen hatte, nun spielte er in einem kleinen Kino und ich saß in der richtigen Vorstellung, in der man mich auf das Konzert aufmerksam machte. Außerdem gefiel mir die Musik und die Geschichte. Und nun tritt also dieser unbekannte Rodriguez zum ersten Mal überhaupt in Neuseeland auf.
Ich lud mir den Soundtrack zum Film herunter, um wenigstens mit einigen Songs vertraut zu sein. Ich habe das Album schnell lieben gelernt und mittlerweile wohl jeden Song 30-40 mal gehört. Die besseren Songs noch öfter.
Finding Sugar Man
Rodriguez ist heute 70 Jahre alt, also lange nicht mehr der Endzwanziger, der die Musik damals einspielte. Der alte Rodriguez ist nicht mehr gut zu Fuß und musste beim Laufen auf der Bühne gestützt werden.
In diesen ersten Momenten will man ihm eine Tour, die ihn in den kommenden Wochen durch Australien führen wird, nicht so recht zutrauen.
Doch sobald er seine Gitarre in den Händen hält und die Band einsetzt, ist er voll da. Viele seiner Songs kamen mir schon so vertraut vor, als wären sie die Klassiker, die sie eigentlich sein müssten. Ich glaubte auch, Rodriguez schon lange zu kennen, dabei waren es gerade einmal drei Tage.
Er spielte all die Songs, die ich schon lieb gewonnen hatte und einige mehr, die ich noch nicht kannte. Zwischen den Stücken erwiderte er „I love you“-Rufe, ließ uns an Lebensweisheiten teilhaben oder erzählte mal einen Witz. Der Mann war gut drauf und genießt seinen späten Ruhm.
Nach einer guten Stunde verabschiedete er sich zum ersten Mal mit dem schönen Song Forget it. Während jüngere Musiker von der Bühne verschwinden, sah man ihn noch am Bühnenrand stehen, denn der Ab- und Aufstieg hätte ihn wohl viel Kraft gekostet. Und so stand er dort kurz, in den Standing Ovations badend, bis er zur Zugabe zurückkam.
Nun zeigte sich, dass Rodriguez nur zwei Alben veröffentlicht hat (deren Songs sehr kurz sind), denn ihm ging wohl das Material aus und so spielte er ein paar Cover Songs (Like a Rolling Stone und Fever).
Den Zuschauern hat’s gefallen. Tausende Fans waren zufrieden, Rodriguez gesehen zu haben. Einige von ihnen haben 40 Jahre darauf gewartet. Neben mir saß eine Dame, die sich erinnerte, damals eine Schallplatte auf eine Kassette überspielt zu haben, die sie heute noch besitzt.
Schlussworte
Es war ein schönes, fast magisches Erlebnis, ganz unbedarft diesen wunderbaren Film anzuschauen, dann für ein paar Tage die verkannte Musik rauf und runter zu hören und letztendlich den totgeglaubten Rodriguez auf der Bühne zu sehen.
Eine schöne Geschichte, die das Leben geschrieben hat und über dieses weiß der „Sugar Man“ Bescheid: Zwischen zwei Songs ließ uns der gealterte Rodriguez an seiner Weisheit teilhaben und lüftete das Geheimnis des Lebens: All you gotta do is breathing in and out.. Es kann so einfach sein.
*Es gibt tatsächlich eine gute Erklärung dafür, dass Rodriguez ausgerechnet in Australien und Neuseeland Konzerte spielt. Der Dokumentarfilm ist nicht ganz ehrlich, denn er verschweigt etwas: Neben Südafrika erreichte Rodriguez auch in Australien eine gewisse Bekanntheit. 1979 spielte er ein paar Konzerte in Australien. An den Plattenverkäufen wurde er allerdings auch dort nicht beteiligt und nach den paar Konzerten war es auch schon vorbei.
In dem Film geht es vor allem um den Bezug zu Südafrika und wie er dort zum Superstar wurde, während er in Detroit ein Arbeiterleben führte. Eine Erwähnung des Erfolgs in Australien wäre ehrlicher gewesen, aber es hätte die Erzählung der Geschichte erheblich gestört, denn auch als Zuschauer glaubt man lange, dass Rodriguez verstorben ist. Die unglaubliche Geschichte erhält dadurch einen kleinen Beigeschmack, doch letztendlich stimmt der Tenor: Verkannter Musiker, der in ärmlichen Verhältnissen lebt und erst zu spätem Ruhm kommt.
And after that said: Forget it!
Danke für den HInweis auf den Artikel, hab ich gern gelesen. Gruß von der Machtdose
Witzige Geschichte! Muss ich mir mal anhören den Typen…
Mach‘ das, Tobi. Lohnt sich. Erstes Preview in meinem Video oben :)
(miese Qualität)
Der Film ist wirklich schön und die Geschichte sehr rührend. Dank des Films (und des Oscars vermutlich) gibt es grad einen ziemlichen Hype um den Mann (nicht nur) in den USA, wo er ein ausverkauftes Konzert nach dem anderen spielt.
Ja, soweit ich weiß war der Film schon fast wieder in der Versenkung verschwunden bevor der Oscar kam. Danach ist der Hype explodiert.
So hat er eben noch seinen späten Ruhm :)