Deutschland ist Fussball-Weltmeister! Yeah. Nach herausragenden Leistungen in den letzten zehn Jahren ist es so verdient. Euphorie aller Orten. Gute Stimmung. Ausgelassenes Feiern. Emotionale Fachgespräche unter Millionen von Bundestrainern.
So ungefähr muss es wohl in Deutschland zugegangen sein als wir am Sonntag Weltmeister wurden. Falls du dich fragst, wie man wohl eine Fussball WM in den USA verbringt, habe ich hier die Antwort für dich.
Dieses Jahr wollte ich mich der WM-Stimmung ein bisschen entziehen. Die USA-Reise war geplant und ich ging nicht davon aus, hier viel von der Weltmeisterschaft mitzubekommen. Man liebt hier Football, Baseball und Basketball. Aber Soccer!? Warum also sollte ich mich unnötig heiß machen?
Zu Beginn gelang mir das ganz gut, da die ersten zwei Spiele in meine Offline-im-Wald-Woche fielen. Ich wusste also lange Zeit gar nicht, wie wir gegen Portugal und Ghana gespielt hatten.
Am Ende dieser Woche nahm die WM dann aber auch für mich an Fahrt auf. Ich erreichte den Ort Bishop in Kalifornien. Meine AirBnB-Gastgeber begrüßten mich fünf Minuten nach meiner Ankunft mit einer Einladung, das Spiel der USA gegen Portugal gemeinsam anzuschauen.
Es stellte sich heraus, dass sie die Details des Spiels nicht allzu gut verstanden, aber vom Fussball fasziniert waren. Vor allem die Athletik der Spieler begeisterte sie, was verständlich ist, wenn man weiß wie Football- oder Baseballspieler aussehen.
In der folgenden Woche schauten wir die USA- und Deutschlandspiele an. Mein Job bestand darin, alles genau zu erklären. Warum bekommt der Spieler auf der Bank eine gelbe Karte? Wie lange dauert die Verlängerung? Wie funktioniert das Elfmeterschießen genau? Was ist ein taktisches Foul? Sie hatten etliche Fragen.
Für deutsche Verhältnisse habe ich solides Fussballwissen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Doch in den USA bin ich der Experte. Ich könnte hier wahrscheinlich eine Fussballsendung im Fernsehen moderieren.
Auf der anderen Seite lernte ich, wie sich der Fussball in den USA entwickelt. Offenbar kommt zumindest während einer Weltmeisterschaft so langsam etwas Euphorie auf. Die meisten Leute, die ich traf, interessieren sich für die WM – wobei ich eingestehen muss, dass die Menschen im AirBnB-Umfeld wesentlich aufgeschlossener sind als der durchschnittliche Amerikaner.
In einigen Städten gab es Public Viewing mit immerhin mehr als 20.000 Zuschauern. In größeren Orten gibt es eine Menge Bars, die alle Spiele zeigten. Viele warben sogar offensiv damit, um Kundschaft anzuziehen. Und oft war es erstaunlich, wie voll diese Bars mitten in der Woche um die Mittagszeit wurden. Mit meinem Gastgeber in Sacramento konnte ich in einer solchen Bar das Viertelfinale gegen Frankreich sehen. Er war schon besser informiert, schaute fast jedes Spiel, aber auch sein Interesse beschränkte sich auf die Weltmeisterschaft.
Bei aller Begeisterung für die WM traf ich niemanden, der die nationale Major League Soccer verfolgt. Die Liga ist zu schwach. Im Fernsehen spielt sie keine nennenswerte Rolle.
Selbst die FIFA WM wurde nicht auf den großen Kanälen übertragen, sondern im Sportkanal ESPN. Wie man mir erklärte, liegt das wohl auch daran, dass Fussball für die Werbeindustrie uninteressant ist. Sie wissen nicht, wie sie – außer in der Halbzeitpause – Werbung unterbringen sollen. Bei den großen amerikanischen Sportarten gibt es so viele Unterbrechungen, dass man immer mal wieder ein paar Spots platzieren kann. Doch 45 Minuten am Stück ohne Werbung? In den USA offenbar nicht denkbar.
Beim deutschen Halbfinale gegen Brasilien musste ich etwas kreativer werden. Ich verbrachte an diesem Tag fünf Stunden am Flughafen in San Francisco. Nach dem frühen Checkin nahm ich um Punkt 13:00 Uhr in einer Bar Platz und sah wie Klose darauf wartete, anzustoßen. Wie gut, dass am Flughafen alles wie am Schnürchen klappte und ich nicht auch nur 20 Minuten zu spät kam. Ich hätte die wesentliche Phase dieses historischen Spiels verpasst.
Euphorie war am Flughafen nicht vorhanden. Ein paar wartende Passagiere saßen herum und schauten mit halbem Auge auf den Bildschirm. Ich war wohl der einzige Deutsche. Ich konnte nicht anders als mir auszumalen, wie toll dieses Spiel wohl in Deutschland gewesen sein muss! Ich war leicht euphorisiert angesichts dieses Ergebnisses, aber es fehlte doch etwas.
Das Finale schließlich sah ich in Portland. Das für mich fünfte Spiel in der vierten Stadt. Portland hat ein eigenes Fussball-Team, dadurch weiß man den Sport hier etwas mehr zu schätzen. Ja, es gab sogar eine Public Viewing Location für das Finale. Ein paar Tausend Fans fanden auf dem Pioneer Courthouse Square Platz. Das Event war ziemlich amerikanisch. Viele Leute kamen mit Campingstühlen und setzen sich vor die Leinwand. Die waren vermutlich froh, dass nicht so viele Tore fielen. Es ist nicht leicht, aus einem solchen Stuhl zum Jubeln aufzuspringen.
In Portland gibt es eine kleine deutsche Community, die sich an diesem Tag auf dem Platz zeigte. Und eine ähnlich große – aber deutlich lautere – argentinische Community. Gemeinsam sahen wir das Spiel und erarbeiteten uns in gewisser Weise auch den Titel. Denn zwischendurch regnete es immer mal wieder und da standen wir in T-Shirt und Shorts. Dieses Mal stand ich immerhin nicht allein unter Fremden, sondern erhielt Unterstützung von Planet-Backpack-Conni, die ebenfalls mitfieberte.
Tja, und dann kam Götze, traf und siegte. Für einen Moment waren wir ausgelassen, hielten im Regen aus und drückten die Daumen für die letzten Minuten. Dann war es aus. Aus! Aus!! Deutschland ist Weltmeister. Alle klappten ihre Campingstühle zusammen und gingen nach Hause.
So endete eine für uns Deutsche historische Fussball-WM in den USA. Bei der nächsten Weltmeisterschaft bleibe ich wohl besser zuhause. Man kann ja nie wissen. Auf einmal werden wir Weltmeister und ich bin umringt von Campingstuhl-Fans.
Grundsätzlich Deiner Meinung, aber mit 2 erwähnenswerten Ausnahmen:
* Im Northpark in San Diego gibt es Public Viewing, wie in Deutschland! (bis auf das Bier in der Öffentlichkeit, wir sind trotz Nähe zu Mexiko immer noch in den prüden USA)
* Das Hofbräuhaus in Vegas war zum Finale leider wegen Überfüllung geschlossen und wirklich jeder in der Warteschlange sprach deutsch und war typisch deutsch am Meckern…
In 4 Jahren versuche ich auch in Deutschland zu sein oder halt in Russland ;)
Hey Flo,
ja, San Diego oder auch Chicago gehörten wohl zu den führenden Orten was Public Viewing angeht.
Und das Verrückteste war – das habe ich hier nicht erwähnt – eine lateinamerikanische Bar in Sacramento in der Brasilien gegen Kolumbien gezeigt wurde. So viel Lärm und Aufregung habe ich noch bei keinem Public Viewing erlebt :)
Bist beim Fussball dann wohl nicht mehr so introvertiert, Patrick ;)
Es ist tatsächlich eine der wenigen Gelegenheiten bei denen ich mal kurz euphorisch werden kann :)
Ich habe mittlerweile meine 2. WM hier in Japan erlebt.
Da ich auf dem Land wohne und weit und breit die einzige Deutsche bin – und noch dazu die Spiele alle mitten in der Nacht zwischen 1 und 5 Uhr liefen, war ich wohl die einzige, die sich das angetan hat.
Freunde in Tokio haben in einer Bar mit japanischen und deutschen Fußballfans geschaut und anschließend gefeiert.
Die meisten Japaner scheinen nach Austritt ihrer eigenen Mannschaft nicht mehr sonderlich an der WM interessiert gewesen zu sein. Naja, verständlich.
Ich dageben bin nach wie vor im Freudentaumel, wenn auch ganz alleine. *g*
Andere Länder – andere Sitten, Aber war sicherlich sehr interessant…
Wo du die Begeisterung über die „Athletik der Spieler“ ansprichst… Das ist in den USA unter Sportzuschauern mehr oder wenig ein Euphemismus für „schöner Körper, kann aber sonst nicht viel“
:)
Haha :)
In diesem Fall war es schon hohe Anerkennung.