Erinnerst Du Dich noch daran, wie 11 Reiseblogger erzählten, was sie auf Reisen über sich selbst gelernt haben? Es ist bis heute der meist geteilte und meist kommentierte Artikel in meinem Blog.
Damals habe ich nicht verraten, was ich eigentlich über mich gelernt habe. Das hole ich jetzt nach. Natürlich habe ich viel gelernt. Es gibt allerdings eine Erkenntnis, die über allen anderen steht. Sie hat nichts mit dem Reisen zu tun, aber sie ist mir unterwegs gekommen, damals in Vietnam.
Ich überspringe bewusst ein paar Details und komme gleich zum Punkt: In Vietnam sah ich mich gezwungen, einem meiner Persönlichkeitsmerkmale ins Auge zu sehen: Ich bin introvertiert.
Das war keine neue Erkenntnis, schließlich schleppe ich das seit mehr als 30 Jahren mit mir herum. Und genau hier lag das Problem: Ich schleppte es mit mir herum wie eine Last!
Ich wollte Schluss machen mit diesem Mist und das Biest besiegen, endlich mal unbeschwert und fröhlich sein wie andere auch. Also las ich ein Buch nach dem anderen über Introversion. Mir wurde zunehmend klar, wie viele meiner Eigenschaften darauf zurückzuführen sind, dass ich introvertiert bin. Mehr als 70 habe ich gezählt, die mit Introversion assoziiert werden. Darunter viele, die ich negativ sehe, aber genauso viele positive. Es ist also ein Paket.
Vor allem aber habe ich gelernt, dass die Dinge sind wie sie sind. Die individuelle Ausprägung von Introversion bzw. Extroversion ist größtenteils angeboren. Erziehung kann die Veranlagung verstärken, aber in meinem Alter gibt’s dann auch nicht mehr viel zu drehen. Klar, ich kann meine Komfortzone hier und da dehnen wie ein Gummiband. Aber mein Paket ist mein Paket.
Nach Vietnam war ich nicht gut drauf, weil ich über mich selbst gestolpert war und nicht aus mir heraus kommen konnte, wie es immer gefordert wird:
„Du musst..
..mal aus Dir heraus kommen
..mal über Deinen Schatten springen
..Dir mal einen Ruck geben
..Dich mal zusammenreißen„.
Das höre ich mein Leben lang. Wie nehme ich also die Erkenntnis auf, dass es nie anders sein wird?
Ganz gut, muss ich sagen. Es ist die wohl wichtigste Erkenntnis, die ich je hatte. Ich weiß nun, dass ich keinen Stein einen Berg hinauf wuchten muss, der am Ende doch nur wieder herunter rollt. Stattdessen kann ich mein Paket akzeptieren, das Gummiband bei Bedarf dehnen und auf die Vorteile fokussieren.
Wie gesagt, das alles hat nichts mit dem Reisen zu tun. Und doch hatte ich diese Erkenntnis unterwegs und hätte sie sonst wohl nie erlangt. Denn in Vietnam habe ich meine Komfortzone überdehnt und zum Teil gegen meine Natur gelebt. Zuhause wäre es nicht dazu gekommen, denn ich hatte mich dafür bereits zu bequem eingerichtet. Außerdem hatte ich auf Reisen die Zeit, all die Bücher zu lesen und das Thema für mich aufzuarbeiten.
Was ich eigentlich sagen wollte
Um ehrlich zu sein, ist das gar nicht die Geschichte, die ich erzählen will. Es ist nur das Vorwort für einen Artikel, der ohne Vorkenntnisse noch mehr missverstanden würde. Ich habe ein paar Geständnisse zu machen. Geständnisse eines introvertierten Reisenden. Die gibt es hier.
P.S. Seit einigen Wochen betreibe ich eine Website über Introversion. Wenn Dich das Thema interessiert, bitte schön: www.introvertiert.org
Was mir in diesem Zusammenhang einfällt:
1.) Einen Post mal eben „spontan“ zu kommentieren kostet Überwindung
2.) kennst du das schon: http://www.fastcocreate.com/1683402/your-guide-to-interacting-with-an-introvert#3 ?
Hi Tine,
bei dem Thema würde ich mich auch schwer tun, spontan zu kommentieren.
Ja, den Guide kenne ich schon. Ich hoffe bei sowas nur, dass die richtige Message hängen bleibt und nicht das Bild vom Introvertierten, der in seiner Blase sitzt ;-)
Viele Grüße,
Patrick
Ein wunderschöner, ehrlich geschriebener und nachdenklicher Artikel!
Bin auf den kommenden Artikel gespannt :)
Patrick, willkommen im Club ;) Ich freue mich auf den Artikel von morgen.
…und was könnte ein besseres „Ergebnis“ einer solchen Reise sein, als in größerem Einklang mit sich selbst zu stehen?
Mal abgesehen davon zeichnet dieser Blog kein Bild eines introvertierten Typen.
Danke für die ehrliche Antwort. Ich stolpere auch gelegentlich über so einige Seiten an mir, die mir persönlich nicht gefallen und ich bin gespannt, ob und wenn ja wie die Reise entweder mich verändert oder meine Haltung gegenüber mir selbst.
Ich lese in meinen eigenen Artikeln oft den Introvertierten heraus ;-) Für andere ist es sicherlich weniger deutlich. Allerdings muss ich auch sagen, dass kaum jemand weiß, wovon bei Introversion überhaupt die Rede ist. Das Wort wird im Alltag stark vereinfacht angewendet.
Mich nervt diese „Geh halt mal auf die Leute zu“-Forderung total. Wir Introvertierte dürfen uns den Extrovertierten anpassen – aber wer fordert die auf, mal langsamer zu machen, andere ausreden zu lassen, sich nicht ständig in den Mittelpunkt zu stellen und auch mal so was wie personal space zu respektieren (der bei Introvertierten bekanntermaßen etwas größer ausfällt)? Das hört sich jetzt wie ein böses Bashing an – mir scheint diese Welt sehr auf Extrovertierte zugeschnitten, und manchmal komme ich mir da falsch vor. Mir geht es da ähnlich dir: Ab und an schleppe ich meine Persönlichkeit und meinen Charakter als Ballast mit mir herum, und gehe über Grenzen, die ich respektieren sollte. Aber recht hast du: Ich versuche zu akzeptieren, was ich nicht verändern kann, und fokussiere mich auf die Vorteile des Introvertiertseins.
Hi Nadja,
ja, unsere Gesellschaft ist vorteilhafter für Extrovertierte. Wir haben aber tatsächlich auch unsere Stärken, die wir „nur“ richtig einsetzen müssen. Das ist nicht immer leicht, aber machbar.
Endlich mal ein guter Blog über Introversion. Ja es ist nicht einfach sich selbst zu finden. Ständig wird man beleidigt und rum geschubst. Viele meinen; „Es überleben nur die Starken“. Dachte sofort, da an die Extrovertierteren. Wenn Ich mal einen Tag lang unter den Leuten verbrachte, dann war Ich fix und fertig. Andere wiederum fühlten sich glücklich und Erfüllt. Arbeite zurzeit in einem Job den Ich nicht mag und schädlich für mich ist, hatte keine lust auf Schule und hatte, die Leute nie so richtig verstanden. Wozu diese Rennerei hinter Geld, Frauen und Autos. Lustige ist, Ich denke, das die Anderen dumm sind und die Anderen denken das Ich dumm bin. :-D Was ist Richtig oder Falsch und was ist gut oder böse. Versuche zurzeit auch ein Online Bussiners Aufzubauen. Hoffe Natürlich das alles klappt wie Ich es mir vorstelle. :-)
Kennst du das Buch Quiet?
Jo, das ist das erste Buch, das ich zu dem Thema gelesen habe :)