Es ist kein Zufall, dass das World Domination Summit in Portland stattfand. In der Stadt, die sich Nonkonformität auf die Fahnen geschrieben hat. Deren Einwohner sich vom Mainstream abheben. Und zwar so sehr, dass sie gleich einen neuen Mainstream schaffen: Nerdbrillen, Undercut-Frisuren, Flanellhemden, Tattoos, Vollbärte. Sie essen vegan am Food Cart, diskutieren Geschäftsideen in Coffee Shops und treffen sich am Abend zum Bier. Das ist Portland.
Die Stadt war ein starkes Argument dafür, das World Domination Summit überhaupt zu besuchen. Sie stand auf meiner Liste der sehenswerten Städte. Ich wusste allerdings nicht, wie sie dahin gekommen war. Später stieß ich auf ein Buch, dessen Untertitel diesen Zustand erklärte: „The city you’ve heard you should like.“
11 Tage blieb ich in Portland, Oregon. Den Staat im Nordwesten der USA muss man dazu nennen, da es noch ein Portland am anderen Ende des Landes gibt, in Maine. Dort soll es auch schön sein.
Ich glaube nicht, dass sich allzu viele Touristen nach Portland verirren. Die Stadt liegt entfernt von den großen Attraktionen des Landes und in Portland selbst gibt es keine klassischen Sehenswürdigkeiten. Vielmehr ist die Stadt selbst eine Sehenswürdigkeit – oder besser seine einzelnen Stadtteile.
The City of Neighborhoods
Die Innenstadt ist nett, aber wie jede andere. Austauschbar. Schön ist es da, wo nicht Innenstadt ist. Portland wird in der Mitte durch den Willamette River getrennt, über den viele, viele Brücken führen. Westlich des Flusses befindet sich die Innenstadt.
Eine der vielen Brücken über den Willamette River
Im Osten hingegen:
„On the east side it doesn’t feel like you’re living in a city. It feels like a sleepy, small town that decided to get cool.“ (aus This is Portland von Alexander Barrett)
Ob nun der Nordosten oder der Südosten schöner ist, darüber lässt sich streiten. Im Süden gibt es den beliebten Hawthorne District. Im Norden gibt es als Gegenstück den Alberta District. Ich mochte den Norden lieber, habe dort aber auch wesentlich mehr Zeit verbracht. Die 11 Tage verbrachte ich in zwei AirBnB-Unterkünften nahe der belebten Alberta Street.
Die Gegend fühlt sich tatsächlich wie eine Kleinstadt an, fast schon dörflich. Zwar steht ein Haus neben dem nächsten, doch es sind alles kleine Einfamilienhäuser mit Veranda und winzigen Gärten ohne Zaun. In anderen Städten kann man froh sein, wenn da irgendwo ein Bus fährt. Doch im Alberta District fahren nicht nur viele Busse. Während man in einem Moment gefühlt durch eine verkehrsberuhigte Zone läuft, hat man im nächsten die Auswahl zwischen unzähligen Coffee Shops, Bars, Restaurants, Eisdielen, Bioläden, Nischengeschäften und Food Carts. Ein Nachbarschaftstraum.
Typische Wohnhäuser im Alberta District
Vier gute Monate im Jahr
Wenn in Portland die Sonne scheint, ist es wohl die lebenswerteste Stadt, in der ich bisher gewesen bin. Dann ziehe ich sie sogar San Francisco vor. Die Menschen laufen in Flip Flops und Shorts durch die Gegend, schlürfen Eiskaffee und hängen im Park herum. Sie spielen mit ihren Kindern oder Haustieren oder einfach miteinander.
Leider scheint die Sonne nur im Sommer. Wenn man es ganz eng nimmt, gibt es sogar nur einen richtig guten Monat: den Juli. Im Großen und Ganzen kann man aber wohl mit vier ordentlichen Monaten rechnen. Die anderen acht sollen bescheiden sein.
Böse Zungen behaupten, es gäbe nur zwei Jahreszeiten: Sommer und Regen. In der „Regenzeit“ regnet es zwar nicht ständig, aber die Sonne sieht man auch nicht allzu oft. Die Wolkendecke soll dann hartnäckig sein und häufig Nieselregen von sich geben.
Sollte ich einmal zurückkommen – und das ist nicht so unwahrscheinlich – dann sicherlich wieder in den Sommermonaten.
Ein paar Dinge über Portland
Ich möchte ein paar Dinge mit euch teilen, die das Portland charakterisieren, das ich erlebt habe.
The City of Books
Buchläden sind die einzigen Geschäfte, in die ich freiwillig gehe, ohne eine konkrete Kaufabsicht zu haben. Da kam mir der größte unabhängige Buchladen der USA gerade recht: Powell’s Books – ein Laden, der ob seiner Größe auch als City of Books bezeichnet wird. Auf 6.300 Quadratmetern bekommt man eine Menge Bücher unter! Das Geschäft erstreckt sich über einen kompletten Block und auf der anderen Straßenseite geht es sogar noch weiter.
Ich war zweimal zum Stöbern in Powell’s und hätte sofort zehn Bücher kaufen wollen. Die dort hervorgehobenen Bücher sind inspirierender, moderner, unkonventioneller als anderswo – oder einfach nur ganz nach meinem Geschmack! Es tat mir ein bisschen Leid, nichts kaufen zu können, da ich keine Bücher um die Welt schleppen möchte. Kurz vor meiner Abreise habe ich mir aber immerhin noch ein kleines Büchlein über Portland gegönnt.
Food Carts
Food Trucks sind ein großer Trend in den modernen Städten Amerikas. Diese kleinen Trucks parken zu einer bestimmten Zeit (v.a. mittags) an einem festen Platz verkaufen frisch zubereitetes Essen direkt aus dem Truck heraus. In Portland hingegen gibt es keine mobilen Trucks, sondern immobile Anhänger (Food Carts). Bei denen muss man nicht die Motorengeräusche ertragen, während man auf das Essen wartet.
Jedes Food Cart ist auf eine Art von Essen spezialisiert: Mexikanisch, Thai, Käse Sandwiches, Salate, Burger etc. Die meisten bieten ziemlich durchschnittliches Fast Food, doch einige stechen heraus. In meiner „Hood“ hatte ich zwei Favoriten, andere habe ich kaum aufgesucht.
In der Innenstadt gibt es einen ganzen Block mit sicherlich 40 verschiedenen Food Carts. Da verbringen die Leute ihre Mittagspause wartend in der Schlange (Amerikaner scheinen grundsätzlich wenig Probleme damit zu haben, sich in Schlangen anzustellen), um anschließend ihr Essen im Stehen zu verspeisen oder mit ins Büro zu nehmen. In den Außenbezirken empfand ich die Food-Cart-Erfahrung angenehmer, da es Zeit und Platz zum Sitzen und Genießen gibt.
Ein Food-Truck aus Pappe von meinem AirBnB-Gastgeber David
Hipster-Look
Ein richtiger Mann scheint in Portland einen Bart haben zu müssen. Nichts Flaumiges, sondern drahtig, in sich verwachsen und so dicht, dass sich ein Kleintier darin verstecken könnte. So ein Bart hält Wind und Wetter auch in den schlechten acht Monaten Stand.
Tattoos sind ebenso wichtig. Zeitweilig fragte ich mich, ob man wenigstens ein Tattoo haben muss, um Einwohner Portlands sein zu dürfen. Viele würden sich jedoch nie mit nur einem Tattoo zufrieden geben! Und so gibt es etwa 70 Tattoo-Studios in einer Stadt mit 600.000 Einwohnern. Das Business läuft offenbar gut.
Darüber hinaus können Piercings, ein schöner Undercut, Flanellhemden, große Brillen und hoch gekrempelte Jeanshosen nicht schaden, um in Portland nicht weiter aufzufallen.
Coffee Shops
Wenn du schon mal mindestens zwei Artikel von mir gelesen hast, weißt du, dass ich Coffee Shops sehr mag. Mit dieser Vorliebe war ich in Portland genau richtig. Es gibt eine Menge Cafés – und zwar von der angenehmen Sorte. Nicht so viele Starbucks oder andere Ketten, sondern dein individueller Nachbarschafts-Coffee-Shop mit Hipster-Baristas, die im Takt zur rockigen Musik wippen, während sie ihr Cappuccino-Kunstprojekt fertigstellen. WLAN ist immer gratis, oft ungeschützt und wenn es ein Passwort gibt, dann ist es kein „A1u8dsH2“ sondern wahrscheinlich etwas Cooles wie „LoveEverybody“.
Gesunde Lebensmittel
Gutes Essen gehört in den schönen „Hoods“ zum guten Ton. Einen Walmart sucht man dort vergebens – aber weshalb würde man den auch suchen?!
Möchte man in den USA gute Lebensmittel kaufen, wird es ganz schön teuer, aber dann ist es auch wirklich gut und man darf ein gutes Gefühl dabei haben. Dafür gibt es Läden wie Whole Foods oder die Farmers‘ Markets, die Lebensmittel von lokalen Bauern verkaufen.
Außerdem geht der Portländer gern gut Essen und Trinken. Die Ausgaben für Lebensmittel, Kaffee und Restaurants sind also ziemlich hoch, wenn man das gute Leben im Alberta oder Hawthorne District genießen möchte.
Konzerte in Parks
Die schönen Stadtteile sind gespickt mit kleinen Parks, in denen es sich im Sommer wunderbar aushalten lässt. Meine letzte Unterkunft lag nur zwei Blocks vom Alberta Park entfernt. Dort trifft man sich am Abend zum Chillen oder Sport treiben (Basketball, Fussball, Softball).
Im Sommer findet zudem an jedem Abend ein kostenloses Konzert in einem der Parks statt. Eines davon habe ich selbst besucht. Da saßen Hunderte von Menschen in der Abendsonne. Sie lauschten der Musik, unterhielten sich, spielten mit ihren Kindern und naschten von den Food Carts. The Good Life!
Alternative Kinos
Anstatt sich die neusten Filme in großen Kinos im Einkaufszentrum anzuschauen, gehen Portländer lieber in alternative Nachbarschaftskinos. Dort werden etwas ältere Filme (teilweise nur einige Monate alt) für etwa $4 gezeigt. Dazu gibt es Bier und Pizza im Angebot. Ein Portland-Klassiker.
Mein Portland-Fazit
Eigentlich bedarf es keines Fazits mehr. Die Sache ist sehr eindeutig. Aber gut, für die Scanner unter euch: Portland war ein schöner Abschluss meiner Reise durch die USA. Ich hatte wunderbare 11 Tage, einschließlich des World Domination Summits. Über AirBnB fand ich wieder schöne Unterkünfte und Anschluss zu meinen Gastgebern (Portland ist seit Juli übrigens die erste Stadt, in der es für Gäste eine „AirBnB-Steuer“ gibt).
Du solltest kein Sightseeing erwarten, sondern etwas Zeit für das gute Leben mitbringen. Portland ist eine tolle Sommerstadt! Iss an einem Food Cart, hänge im Café herum, stehe 10 Minuten für ein gutes Eis an, sonne dich im Park und lass dir ein Tattoo stechen. Was man in Portland noch so machen kann, erfährst du hier.
Möchtest du für Portland erst noch so richtig in Stimmung kommen, empfehle ich dir das Büchlein This is Portland – süffisante Beobachtungen eines Portländers (Achtung: Kein Reiseführer!).
Toller Artikel über eine sehr interessante Stadt, die man normalerweise wohl eher selten auf einer Reisewunsch-Liste findet. So wie du es schilderst, bekommt man auf jeden Fall richtig Lust dort mal ein paar Monate zu verbringen (wenn auch nur im Sommer :-)
Hey, der Reisetippgeber ist zurück. Herrlich schön die Charakteristika beschrieben. Ich kann mir den drahtig-bärtigen Mann gut vorstellen und hab jetzt richtig Lust auf Portland im Sommer!
Hey Tanja,
danke für das Lob!
Ich glaube, das ist eher ein Verweiler-Tippgeber als ein Reisetippgeber ;-)
Viele Grüße,
Patrick
Hatte vor ein paar Jahren mal die Diskussion über die Trendstädte der USA. Zuerst war es wohl Seattle, dann Philadelphia, dann Portland. Gerade wird ja Detroit auch gehyped. Ist wahrscheinlich so wie mit Berlin und Leipzig. Mal sehen, was als nächstes kommt :-)
Bei den Trendstädten bin ich nicht so richtig im Bilde. In Sachen Detroit ist Verfall jetzt wohl wieder hip? ;-)
Toller Beitrag!
Und Portland ist wirklich eine schöne Stadt. Ich war 2015 im Sommer dort und sie hat mir mit am Besten gefallen, von allen Städten, die ich in Amerika besucht habe :)
Liebe Grüβe aus Vancouver!