Und warum ausgerechnet Tallinn? Das war die am häufigsten gestellte Frage, als es mich hierher verschlug. Auf die Idee brachte mich ein Freund, dessen Erzählungen aus Tallinn und Riga ich noch im Hinterkopf hatte. Ich fragte ihn, welche der beiden Städte es denn sein solle, um hier einen schönen Sommermonat zu verbringen und letztendlich bin ich in der Hauptstadt Estlands gelandet.
Tallinn hat meine Erwartungen erfüllt oder sogar übertroffen. Aus meiner Sicht ist sie eine ideale Stadt für digitale Nomaden. Und zwar aus den folgenden Gründen.
1. Die Stadt ist online
In Estland hat jeder Bürger das Recht auf kostenlosen Zugang zum Internet. Das merke auch ich als Besucher: Eine so hervorragende Internetverfügbarkeit habe ich noch nirgends erlebt – nicht einmal annähernd. Die Innenstadt verfügt über beinahe flächendeckendes Wifi.
Nach einem Netzwerk musste ich nie lange suchen, in der Regel kann ich mir eines aussuchen. Es gibt WLAN in Cafés, Einkaufszentren, Restaurants, Kinos, Museen, Parks, auf öffentlichen Plätzen, am Flughafen. Die Netze sind zudem immer offen, ich brauchte noch nie ein Passwort. In Cafés stehen oft auch viele Steckdosen zur Verfügung. Beste Voraussetzungen also, um online zu arbeiten.
2. Es gibt eine Startup-Szene
Für mich persönlich ist es nicht so wichtig, aber viele digitale Nomaden stehen der Startup-Szene nahe oder stecken mitten drin. In Tallinn sitze ich nicht einfach nur im Café, sondern zeitgleich mitten im Meeting. Da phantasieren fünf, sechs Leute lautstark über die nächste Finanzierungsrunde und lassen ihr Umfeld an ihren Welteroberungsplänen teilhaben.
Außerdem gibt es zwei Coworking-Spaces, in die man sich auch tageweise einmieten kann: Coworking.ee und Garage48.org.
3. Kaum Zeitverschiebung
Wenn man deutsche Kunden und Partner hat, ist der Zeitunterschied nicht ganz unwichtig. Zwischen Deutschland und Estland beträgt die Zeitverschiebung gerade mal eine Stunde. Das fällt kaum auf.
4. Schöne Apartments
Über AirBnB habe ich ein sehr schönes Apartment gefunden. Es gab nicht sehr viel Auswahl, aber zwischen drei, vier Wohnungen in verschiedenen Lagen konnte ich schon wählen. Für eine halbwegs zentrale Lage zahlt man zwischen 500,- und 800,- Euro im Monat. Für AirBnB ist das ganz in Ordnung.
Ich habe ein schön helles Apartment, das ca. 50 Quadratmeter misst, 730 Euro kostet, über rasend schnelles Wifi verfügt und nur fünf Fußminuten von der Altstadt entfernt liegt. Ein Café befindet sich gleich auf der gegenüber liegenden Straßenseite.
Mein tolles Apartment in Tallinn
5. Keine Sprachprobleme
In Tallinn spricht man offiziell Estnisch und Russisch. Die allermeisten Esten sprechen allerdings auch Englisch. Nicht auf dem Niveau der Skandinavier, aber gut genug, um sich mit jedem gut verständigen zu können. Filme werden hier nicht synchronisiert, das dürfte zu dem guten Niveau beitragen.
6. Tallinn ist preiswert
Für Euro-Verhältnisse ist Estland sehr preiswert. Lebensmittel sind etwas günstiger als bei uns, ein Busticket kostet 1,60 Euro, für’s Kino habe ich 5 Euro bezahlt, der Eintritt für viele Attraktionen kostet häufig nur 2-3 Euro und eine Tasse Kaffee gibt es für 1,50 Euro. Die historische (und touristische) Altstadt ist etwas teurer als der Rest Tallinns.
Lebensmittel sind recht günstig
7. Angenehmes Klima – im Sommer
Ich verbringe vier Wochen in Tallinn, von Anfang Juli bis Anfang August. Das Klima empfinde ich zurzeit als sehr angenehm. Es ist meist warm, aber nicht heiß (20-25 Grad). In der Sonne lässt es sich ohne Probleme am Strand liegen.
Einige Tage waren bedeckt oder verregnet. Dann ist es nur 15-17 Grad warm, aber nicht so kalt, dass ich die ganze Zeit frieren würde.
Im Sommer ist es zudem sehr lange hell. Anfang Juli ging die Sonne gegen 4 Uhr morgens auf und um 23 Uhr wurde es langsam mal dunkel. Im August normalisiert sich das wieder.
Ehrlich gesagt, würde ich Tallinn allerdings auch nur zwischen Mai und August besuchen wollen und mich im Rest des Jahres fern halten.
8. Eine gemütliche und kompakte Stadt
In Tallinn gibt es kaum lange Wege. Vor allem wer nah am Zentrum wohnt, braucht kaum mal weg. Dann ist alles zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu erreichen.
Die Innenstadt ist sehr gemütlich, historisch und modern zugleich. Große Hektik verspürt man hier nicht, wobei sich in der Altstadt vor allem Touristen aufhalten.
Tallinn liegt zudem am Wasser, das ist im Sommer natürlich angenehm. Allerdings muss man schon hin – die Innenstadt selbst hat keinen Zugang zum Wasser. Doch die lange Promenade lässt sich bestens bei langen Spaziergängen, beim Jogging oder mit dem Fahrrad erkunden. Den Strand habe ich schon erwähnt!
Die unspektakuläre Promenade eignet sich zum Spazieren und Joggen
Der drei Kilometer lange Ostseestrand von Tallinn
9. Es gibt Unterhaltung neben der Arbeit
Tallinn mag keine spektakuläre Weltstadt sein, und doch findet sicherlich jeder seinen Zeitvertreib. Es gibt große Parks, die lange Promenade und der drei Kilometer lange Strand, die sich zum Joggen oder Relaxen eignen.
In der Innenstadt gibt es eine Reihe von Kinos, Restaurants, Bars und Pubs. Auch mit Sightseeing kann man sich eine Weile die Zeit vertreiben – zumindest wenn man Kirchen und Museen mag.
Wenn Tallinn nicht reicht, kann man für kurze Ausflüge in die Hauptstädte der Nachbarländer ausweichen: Mit der Fähre gelangt man in zwei Stunden nach Helsinki; mit dem Bus in vier Stunden nach Riga.
Fazit: Tallinn lohnt sich
Im Sommer kann man mit Tallinn als digitaler Nomade aus meiner Sicht nichts falsch machen. Das Klima ist angenehm, die Stadt ist gemütlich und preiswert und nicht zuletzt ist die Internetabdeckung vorbildlich.
Ich selbst bin noch skeptisch, ob die Idee, für einen Monat in einer fremden Stadt zu leben, so gut zu mir passt. Das Herumreisen hat mir etwas besser gefallen, als für längere Zeit an einem Ort zu sein, wo ich niemanden kenne. Doch das hat nichts mit Tallinn zu tun. Wer damit zurecht kommt, ist hier bestens aufgehoben!
Das mit dem Grundrecht auf kostenloses Internet ist super! Wäre klasse, wenn es sowas auch in Deutschland geben würde und jeder die Möglichkeit hätte in öffentlichen Einrichtungen wie Bibliotheken, Universitäten, Ämtern und an Bahnhöfen kostenlos über Wifi ins Internet zu gehen.
Tallinn macht übrigens im Winter genauso Spaß. Minus 30 Grad sind zwar kalt, aber machen die Stadt erst Lebenswert. Überall finden sich kleine Gimmicks, wie Eisskulpturen, öffentliches Schlittschuhlaufen in der Altstadt, ein Weihnachtsmarkt, der zwar nicht so groß ist wie in Deutschland die, aber dafür viel mehr Vielfalt hat. Glöggi (h6igvein) aka Glühwein schmeckt besser und fruchtiger als der Deutsche. Rentierwurst zum ist zum probieren gut und Sauna im Winter das Beste Mittel um nicht krank zu werden.
Und dann noch das. Ich war 2012 für eine kleine Woche dort und fand weiße Nächte und sowas wie Geborgenheit. Estland, das Land, in dem – so meine Vermieterin – die Menschen wollen, dass die Häuser der anderen so entfernt stehen, dass man sie gerade noch sieht (aber nicht näher), das Land, indem nur Massen zusammen kommen, wenn eine singende Revolution gegen die Sowjets fällig ist, ja… und das diese herrliche Internetversorgung hat. Klar, dass es Dir dort gefallen hat. Mir auch! Und ich höre gern, dass es auch im Winter interessant ist, denn da hatte ich auch so meine Zweifel…
500-800 Euro/Monat? Dachte die Zimmer wären in Tallinn etwas günstiger… Ich fliege im Herbst nach Tallinn und möchte anschließend mit der Fähre nach Helsinki. Wie viel Zeit sollte ich mir mindestens für Tallinn nehmen? Reicht ein Tag aus, wenn ich mir nur die Altstadt ansehen will? P.S. Wie lange braucht man vom Flughafen in die Innenstadt? Vielen Dank im Voraus, Steve
Hi Steve,
der Preis für die Unterkunft bezieht sich auf eine ganze Wohnung, nicht nur ein Zimmer.
Die Innenstadt ist ziemlich klein. Die kannst du locker an einem Tag erkunden.
Vom Flughafen braucht man meiner Erinnerung nach etwa 20 Minuten mit dem Bus.
Viele Grüße
Patrick
Danke für die Inspirationen! Ich war letztes Jahr dort. Was mich beeindruckte: Ein Volk, dass so lange (Jahrhunderte!!!) Unterdrückung und Besetzung erlebt hat – und jetzt so aufgeschlossen da steht (Skype erfindung…)
Es war eine herrliche Zeit dort!
Selbst wenn man kein Internet hätte, wäre die Talinn eine Reise wert.